Winklers jährliche Blütenlese
2017 – in diesem Jahr haben die Karriere-Journalisten das klassische Anschreiben als No-Brainer abgeschrieben. Jetzt wird der Trend bei der Job- und Kandidatenfindung von dem Auf und den Apps der digitalen Kommunikation bestimmt. Die Datafication, die smarte Überführung von Alltagsvorgängen in die EDV (und das damit ermöglichte, profitbringende Melken der Datenbestände) hat längst die Bewerbungs- und Rekrutierungsprozesse erreicht. Der digitale Umbruch bringt Empowerment vor allem für junge Bewerber, die ihren nächsten Job ebenso selbstverständlich über das Smartphone finden wollen wie das nächste Date, den nächsten Urlaub und die nächste, mit ***** bewertete Location.
Was immer sich Frau und Mann, Millenial und Generation Golf, Customer und Service und eben auch Bewerber und Arbeitgeber gegenseitig mitzuteilen haben: Vom Ausdenken und Aufschreiben über das Tippen und Texten mutiert die wechselseitige Verständigung immer mehr zum spontanen Klicken, Wischen und mit Emojis ballern. Wer will sich noch die Zeit zum Formulieren ganzer Sätze nehmen, wo uns doch die Engel der disruptiven Technologien zum ersten Mal seit der Erfindung der Kusshand die Möglichkeit geben, einen Arbeitgeber zu liken, noch bevor er uns bezahlt hat. Bewerberdaten, ab in die Cloud! Per Click-through zum Job! Berufliche Selbstvermarktung heute, das ist so Gucci.
Vor allem in großen Firmen bewirtschaftet Human Resources möglichst keine altmodischen Bewerbungen mehr. Erwünscht ist der Input von prozessierbaren Bewerberangaben. Das selbstgetippte, aus Stolz und Kalkül nicht abgekupferte Anschreiben haben einst Menschen mit einem Anliegen und mit einer Botschaft bedachtsam ausgearbeitet. Sie haben sich eine gute Stunde reserviert, um eine Person vom Fach zu instruieren und um erste Vertrauens- und Überzeugungsarbeit zu leisten. Solch ein Anschreiben der alten Sorte endet heute als sperriges und informationsarmes Element in einem Datensatz. Wer soll das lesen und würdigen? Noch keiner Datenbank-Engine wurde bis dato ein Gespür für Stilsicherheit, Tonalität und souveräne Argumentationsweise eingepflanzt.
So viele Anschreiben landen heute auf ewig ungelesen im Bauch der Maschine. Glück hat, wer nicht nur seine Argumentation aufbauen kann, sondern auch noch einen Menschen findet, der das Ganze liest, auswertet und würdigt.
Ein Profil, vielleicht sogar anonymisiert, ein paar Antworten auf Standardfragen, eine Reihe angekreuzter Checkboxen und ein paar glatte Lügen zur Motivation, mehr wird der Stellenanbieter in Zukunft gar nicht mehr verlangen.
Schade, ganze Generationen von Anschreiben-Textern folgten dem schönen Brauch, Bekundungen des guten Willens, der höchsten Leistungsmotivation, des Zu-allem-bereit-Seins und der Vorfreude auf die baldige Aufnahme in ein starkes Team voneinander abzuschreiben.
Noch haben Bewerber auch im Jahr 2017 wie eh und je nach dem genialen Anschreiben-Einstieg gesucht. Als Bewerbungsberater kann ich sagen, sie haben ihn nicht immer gefunden:
„Menschen begeistern – das ist, was ich kann und will!“
Man leitet seine Bewerbung besser nicht damit ein, sich eine von allen hochgeschätzte Qualität zuzuschreiben. Außer man will ohne weitere Sichtung als eitler Mini-Trump eingestuft werden.
Ein anderer Kandidat startete seine Exzellenzinitiative in eigener Sache so:
„ich würde Ihr hervorragendes Team nur allzu gerne verstärken und noch ein bisschen hervorragender machen. Dazu biete ich Ihnen einen ebenso zuverlässigen wie kooperativen, belastbaren, positiv denkenden und aufgeschlossenen neuen Kollegen an: mich.“
Leider tendieren Mitglieder von exzellenten Teams ebenso wie Beauty Queens, A-Prominente und auch Lisa Müller dazu, einem C-Schmeichler die kalte Schulter zu zeigen. Grund: Alle Leute haben etwas zu tun, und mit einer solchen Anmache beweist man nur, dass man keine Ahnung hat, was genau zu tun ist. Eigenschaften ersetzen nun mal nicht die Qualifikation. Es kommt auch nicht gut an, wenn man sich selber mit anzeigentypischen Buzzwords behängt. Positiv zu denken und scheinheilig zu schreiben, das bringt einen Bewerber nicht weiter – vor allem, wenn der Leser „oh, nein“, „bloß nicht“ oder „kein guter Einstieg“ denkt.
Was man kann und will, was man ist, was man machen würde oder bietet … das sind für Bewerber, die anschreiben wollen, keine zielführenden Einstiegsfragen. In welcher Position leistet man was genau für wen an welchem Ort. Diese Information weckt garantiert das von den Bewerbern notorisch missachtete berufliche Interesse eines Arbeitgebers.
Statt schnöde mitzuteilen, was der Recruiter erfahren will, starten besonders die hochgebildeten unter den Bewerbern (bzw. diejenigen, die als solche gelten möchten) mit einer erbaulichen Weisheit:
„die besten Ergebnisse erzielt man insbesondere dann, wenn man sich gänzlich mit seinem Arbeitgeber identifiziert und eine ausgesprochene Leidenschaft für seine Aufgaben mitbringt.“
Ein Allgemeinplatz ist nun leider nicht der optimale Treffpunkt für Arbeitsuchende und Arbeitgeber. Abgesehen davon verhebt man sich, wenn man einen künftigen Vorgesetzten darüber zu belehren versucht, wie seine Mitarbeiter beste Ergebnisse erzielen. Mein Karrieretipp lautet deshalb: Fremde, die gemeinhin mehr verdienen als man selbst, (oft deswegen, weil sie ihr Geschäft bestens beherrschen), muss man generell nicht erstaunen wollen.
Ziemlich erstaunlich ist das, was einem frisch vernarrten Bewerber beim allmählichen Verfassen seines Anschreibens durch den Kopf ging:
„Aber warum geht mir gerade Musterfirma nicht aus dem Kopf? Der Humor und das sympathische Auftreten von Musterfirma bei absolutem State of the Art lassen mich nicht nur heute von Ihnen schwärmen: Ich möchte für meine Zukunft einen neuen Meilenstein setzen, mich neuen Herausforderungen stellen und herausfinden, ob Musterfirma so gut zu mir passt, wie ich es mir ausgemalt habe.“
In dieser Herzensangelegenheit hilft vielleicht nur ein feinfühliger Rat: Gut möglich, dass es einen sympathischen Witzbold gibt, der Ihnen jetzt wie für alle Ewigkeit immerzu Anlass gibt, für ihn zu schwärmen, und der Ihnen auf seinem Musterfirmengelände sogar das Setzen privater Meilensteine erlaubt. Auf der Suche nach Mr. Musterfirma werden Sie aber nicht viel zu lachen haben.
Jemanden nach der alten Schule anzuschreiben verlangte, einem Jobanbieter, den man für schwer von Begriff hält, wortreich allerlei Umstände darzulegen, mit denen er nichts anfangen kann. Auch im Jahr 2017 gab es Bewerber, die diesen Anspruch nach besten Kräften erfüllen wollten:
„Was ich Ihnen im Gegenzug zu bieten habe und womit ich zur Erreichung Ihrer Ziele beitragen will, möchte ich gerne im Folgenden näher erläutern.“
Ja, ich kann nach der Lese von Körben saurer Bewerbertrauben sogar sagen: Vielen Bewerbern gingen auch im vergangenen Jahr die Scheinargumente nie aus.
„Meine eigene kulturenübergreifende Lebensweise und empathisches Verhalten bieten stets höfliches und faires Auftreten den Kollegen und Vorgesetzten gegenüber.“
Nur darf das, was man sagen möchte, nicht dadurch getrübt werden, wie man es sagt:
„Durch meine Leistungskurse Deutsch und Philosophie in der Oberstufe fällt es mir außerdem nicht schwer, mich schriftlich auszudrücken.“
So viel zum Thema Selbstüberschätzung. Da bleibt – wie in all den Jahren zuvor – eigentlich nur noch die Frage offen, wie man eigentlich zu MS Office steht:
„Der versierte Umgang mit dem gängigen Office-Paket ist für mich selbstverständlich.“
Stimmt wiederum. Wenn jemand im Land der Gängelung in irgendetwas versiert ist, dann ist das im Umgang mit Selbstverständlichkeiten. Am Nutzen von Schule, Studium und Zeichensetzung mag man nach der Lektüre dieses Anschreibens nicht mehr zweifeln:
„Während meiner bisherigen Studienzeit, wurde meine Teamfähigkeit gestärkt, sowie die Fähigkeit sich in unterschiedliche Anforderungen effizient einzuarbeiten weiter ausgebaut. Durch meine freundliche Art eigne ich mich darüber hinaus für zwischenmenschliche Arbeiten.“
Bewerben ist durchaus ein lebensveränderndes Unterfangen, vor allem, wenn man zu lange darüber nachdenkt, auf was man sich einlässt. „Bist Du Dir sicher“, will das besorgte Erwachsenen-Ich darum vom flexiblen Bewerber-Ich wissen. Vielleicht ist die Antwort ja auch für einen Jobanbieter spannend. Zur Sicherheit signalisiert man am besten Zuversicht:
„Ich bin mir sicher, dass die Beschäftigung in einem der renommierten Museen und die Zusammenarbeit mit Experten nicht nur eine vielversprechende Herausforderung bieten, sondern auch von großer Bedeutung für meine Zukunft sein werden.“
Oder, unter mehrfachem Einsatz der besonders in Süddeutschland als robust geltenden Präposition „durch“:
„Durch meine Motivation und Flexibilität bin ich mir sicher, dass dieser Beruf zu mir passt und meinen Interessen entspricht.“
Und fast hätte man es übersehen:
„Die geforderte Fähigkeit zu logischem Denken kann ich auf Wunsch durch Vorlage einer qualifizierten Intelligenzdiagnose nachweisen.“
Das Ziel vor Augen lässt man alle Zurückhaltung fahren:
„Insofern werden Sie mit mir einen ehrgeizigen und verlässlichen Mitstreiter, mit dem nötigen Pioniergeist für Ihre Ziele, finden.“
Puh, geschafft! Jetzt fehlt nur noch ein sportiver Abgang:
„Voller Tatendrang stehe ich Ihnen nach Absprache zur Verfügung.“
So viel guter Wille ist einfach zu viel des Schlechten. Anschreiben gilt als etwas, was so viele nicht können und was darum die meisten eigentlich nicht mehr wollen. Wie jedes Jahr haben zu viele Bewerber die üblichen Leitwörter wie Interesse, Motivation, Leidenschaft, Begeisterung zu Tode geritten. Und der beruflich motivierte Leser wird sich beim Überfliegen von Phrasenwüsten wiederholt zu Tode gelangweilt haben.
Das Bewerber-Anschreiben ist vielleicht noch nicht ganz tot. Es riecht aber komisch.
Soll man also das Bewerbungsschreiben wie den Liebesbrief, den Urlaubsgruß und das Tagebuch stillschweigend entsorgen?
Zur Ehrenrettung dieser ungeliebten Textsorte sei gesagt:
Sie heben sich aus dem Bewerber-Durchschnitt schon dadurch heraus, wenn Sie es mit Ihrem Anschreiben verstehen, ganze, (vor)lesbare Sätze in der Landessprache zu bilden. Mit passend verbundenen Satzgliedern, mit schreibgenau im Duden verzeichneten Wörtern und mit korrekt gesetzten Zeichen.
Sie beweisen Ihr Verständnis für das Wesentliche und das Notwendige. Schließlich fassen Sie in Ihrem kurzen Briefing für den Jobanbieter alle Ihre Lern- und Arbeitsleistungen geordnet und übersichtlich. Dabei arbeiten Sie die Erfahrungen heraus, die Sie auf das Meistern der anstehenden Aufgaben besonders gut vorbereiten.
Sie heben sich mit der Beschränkung auf das nachprüfbar Faktische wohltuend von den aufdringlichen WAS-NICHT-IM-LEBENSLAUF-STEHT-Plaudertaschen und den flauschigen SOFT-SKILLS-Botschaftern ab. Sie lassen das Unsägliche ungesagt sein, stehlen keinem Arbeitgeber die Zeit und beschränken sich auf die Angaben, die er für seine Entscheidungsfindung braucht.
Sie nutzen die Chance, ein sachdienliches Statement über Ihren Job-Claim abzugeben und einen Jobanbieter zusammenfassend darüber zu instruieren, was Sie beruflich befähigt.
Sie schreiben das alles in Ihren eigenen Worten auf. Das unterscheidet Sie im Jahr 2018 und auch in allen folgenden Jahren, wenn sich der Jobmarkt vielleicht wieder abgekühlt haben wird, von so gut wie allen anderen Bewerbern um eine Stelle.
Einfach zu schreiben ist viel schwerer, als App-Abfragen zu bedienen. Sich verständlich zu machen, um verstanden zu werden, wird auch künftig die Fähigkeit der Gewinner bleiben.
Erfolgreich bewerben verlangt von Ihnen: Machen Sie einem Entscheider klar, was Sie im Einzelnen von den Mitbewerbern unterscheidet. Von den Fakten her. Von der Sprache her. Und schließlich von der schönen Kunst her, sich selbst so zu empfehlen, dass man Ihrer Befähigung, Ihren Absichten und Ihren Kräften vertraut.
Neuenhagen bei Berlin, 17. Januar 2018
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