Mein inspirierter Lebenslauf

Stelle in Sicht! Bewerbungsfrist knapp! Und man ist noch gar nicht innerlich vorbereitet. Jetzt soll man flink seinen längst abgelaufenen Lebenslauf von lachhaft auf lesbar umschreiben. Analysen, Reports und Zusammenfassungen liefern Sie sonst prompt, aber wenn es um Sie selbst geht, sind Sie seltsam uninspiriert. Ihr inneres Karriere-Ich wird ungeduldig und spricht:

«Menschenskind, die Kriterien sind doch klar: Schnellste Erfassbarkeit der Stationen und Aktivitäten. Haupteinträge anreichern durch Notieren deiner segensreichen Handlungen, Pflichten, Leistungen, Erfolge. Dann werden aus Stationen echte Pro-Argumente. Dabei striktes Beschränken auf Stich- und Hauptwörter. Ganz einfacher und unaufwendiger Aufbau. Keinerlei Schmuck- und Gestaltungselemente. Volle Konzentration auf den textlichen Aufbau deines Profils. Du kannst das!»

Sie seufzen: Überzeugende Einfachheit ist kein leichtes Ziel. Im Grunde sind Sie aber selbst unkompliziert und deshalb gefällt Ihnen Ihr Auftrag. Ihren Lebenslauf entwerfen Sie zweispaltig, weil man mehr Spalten weniger gut kapiert. Im Verhältnis der beiden Teile folgen Sie dem Prinzip des Goldenen Schnitts. Selbst wenn eine Biographie innere Brüche hat: Die visuelle Umsetzung soll schließlich Harmonie ausstrahlen. Sie beschränken sich auf wenige Rubriken. In die linke Spalte setzen Sie zum Beispiel: BERUFLICHE ERFAHRUNG. AUSBILDUNG. WEITERBILDUNG. Fremdsprachen und EDV-Anwendungen unter KENNTNISSE & FÄHIGKEITEN. Ihre vereinsgebundenen, sinnvollen Aktivitäten sowie Mitgliedschaften unter ENGAGEMENT. Um in der Reihe zu bleiben, kommen ganz oben noch PERSÖNLICHE DATEN. Und gleich darunter Ihr Claim: ANGESTREBTE POSITION.

Nach dem Setzen eines Jobanspruchs kommt am Ende des ersten Seitendrittels der Eintrag, der Ihren Jobanspruch am besten belegt. Das ist in der Regel die aktuelle Aktivität. Alles weitere reihen Sie dann umgekehrt chronologisch auf. Unter ANGESTREBTE POSITION kommt je nach dem, wo man gerade steht, BERUFLICHE PRAXIS oder AUSBLDUNG. Schon länger joblose, aber findige Menschen rücken dagegen ihre guten KENNTNISSE & FÄHIGKEITEN nach oben.

Ihnen ist klar, dass Wort- und Infomüll den Schriftverkehr der Menschen belastet. Sie beschließen deshalb: Ich verliere mich im Lebenslauf nicht in Kleinheiten. Ich erkläre und kommentiere nichts. Dafür achte ich auf Kontinuität. Ob BERUFLICHE DATEN, AUSBILDUNG oder WEITERBILDUNG - ich produziere ein Kontinuum meiner Lern- und Leistungsanstrengungen.

Und ich habe die innere Stärke, nicht auf Brüche und Abbrüche einzugehen. Im Lebenslauf lasse ich nackte Fakten für sich sprechen. Alle Sinngebung des Widersprüchlichen, alle Überzeugungsarbeit leiste ich im Gespräch. Die Bewerberpräsentation führt die Jobeignung vor. Erst im direkten Kontakt gehe ich gezielt auf Zweifel und Einwände ein.

Göttliche Eingebung und menschliche Vernunft raten Ihnen, nach dem letzten allgemeinbildenden Schulabschluss alle weiteren Stationen monatsgenau zu bestimmen. Grund: Jobanbietern kommt es auf die Kontinuität Ihrer Anstrengungen an. Sie wiederum halten das Prinzip der Konsistenz hoch und achten peinlich genau darauf, alle Daten in der linken Spalte im selben Format anzugeben.

Nach der letzten allgemeinbildenden Schule darf keine undefinierte Zeitphase größer sein als ein Monat. Auch die Honigmonde auf der Ferieninsel werden deklariert - wie, das hängt davon ab, ob man die Wahrheit aufzupolieren hat. Doch das heißt eben nicht, dass man Vollständigkeit zum absoluten Prinzip erhebt. Viele parallele Aktivitäten kann man irgendwann wegfallen lassen. Jobs während der Ausbildung, berufsbegleitende Trainings und Schulungen sind Pro-Argumente, die mit den Jahren verblassen. Bereits als Praktikant spart man sich den Grundschuleintrag. Im weiteren Karriereverlauf wird man seine parallelen Aktivitäten nach und nach streichen, wenn sie die aktuelle Jobtauglichkeit nicht mehr belegen.

Sie konturieren Ihr Profil, indem Sie Füllworte aus dem Lebenslauf streichen und spezifisch werden. Aus Mitarbeit bei der Organisation eines internationalen Kongresses machen Sie: Mitglied Organisationsteam 1. Studentischer Kongress der Globalisierungsfreunde, München.

Zu den Kerndaten gehören die thematischen Schwerpunkte einer Ausbildung und die Zuständigkeiten, Pflichten und Erfolge einer Tätigkeit. Sie setzen diese Infocluster als Fließtext, nicht als Bullet-Listen unter einen Eintrag. Ihre Position ist wichtiger als der Bosch, bei dem Sie glücklich untergekommen waren und steht darum an erster Stelle. Sie sind dabei höflich und beehren Arbeitgeber und Ausbildungsstätten mit ihrem vollständigen Namen.

Am Ende Ihres Neuaufbaus dürfen Sie auf sich stolz sein. Sie haben sich Deckblatt und die Peinliche Seite 3 gespart. Ihr Lebenslauf umfasst keine drei Seiten. Sie verschonen den Jobanbieter mit Euphemismen („Erziehungszeit und Familienmanagement“) und Entschuldigungen („Kündigung wegen Insolvenz“). Obendrein haben Sie Ihr Porträt rechts oben eingefügt – bei einer Papierbewerbung prittsicher und nicht per Klammer. Da kann man nur sagen: Gut gemacht!

Zuletzt aktualisiert: Berlin, 16.03.2009.

Ich schreibe für den verständigen Leser. Halten Sie bitte auch mich auf dem Laufenden: über den Jobmarkt, über Ihre Bewerbungswege, Erfahrungen, Abenteuer und Erfolge. Was vermissen Sie auf jova.nova.com? Was sehen Sie anders? Ich freue mich über Ihr Feedback per E-Mail, WhatsApp oder Telegram!

Eine Botschaft für Text-Piraten: Der Inhalt meiner Homepage ist keine Public Domain.