"Als Bewerbungsfoto nehme ich das offizielle Foto von der Website meines alten Arbeitgebers. Die private Verwendung ist mir gestattet. Der Hintergrund ist übrigens bei allen Mitarbeitern derselbe. Verstehe ich Sie richtig, dass das Foto an sich OK für den Zweck der Mitarbeiterpräsentation ist, aber eben nicht die Anforderungen an ein Bewerbungsfoto erfüllt?"
– Bewerbungsfoto ist eine Glaubensfrage.
Bevor ich mein Bekenntnis ablege: Ich stelle fest, dass Arbeitgeber, die ihre Mitarbeiter online oder auf Papier vorstellen, gern so vorgehen: Aufstellen des Mitarbeiters in einem Treppenhaus, in einem lichten Raum, in repräsentativen Büro-Umfeld. Führungskräfte bekommen zusätzlich zum repräsentativen Ambiente eine etwas weitere Perspektive. Faustregel: Je höher die Vergütung, desto mehr Himmel im Bildhintergrund. Vom Bildausschnitt her präferiert man für das Mitarbeiterfoto Hüftbild, Kniestück oder sogar die Ganzfigur.
Ich glaube zu wissen, dass es für einen Jobsuchenden weit eher von Vorteil ist, wenn der Hintergrund neutral ist, wenn das Gesicht betont wird, wenn man den Kopf gerade hält, wenn Kopf und Schultern nicht versetzt sind, wenn insgesamt der Moment einer formal-freundlichen, geschäftlichen Begrüßung modelliert wird.
Für mich gibt es dafür gleich zwei starke Glaubensgründe:
1. Der Jobsuchende sollte sich so selbstbewusst und selbstsicher wie ihm möglich zeigen (gerader Kopf, Augen auf Höhe mit denen des Betrachters), zugleich völlig zugewandt (offenes Lächeln, große Augen) und zugleich als geschmeidig in jede (anspruchsvolle) Arbeitsumgebung integrierbar, Deshalb trägt man ja auch Geschäftskleidung bzw. man wählt als Vertreter eines unteren bis mittleren Einkommens zumindest einen gehobenen Freizeitdress.
2. Der Arbeitgeber möchte dem Jobsuchenden in die Augen schauen, in seinem Gesicht lesen und immer auch seine Seele und seine Absichten erforschen.
Darum verkünde ich auch dem armen Teufel, der Bewerbern empfiehlt, man möge für’s Foto mit Schmackes die Arme verschränken, ein kraftvolles: «Geh fort!»
Liebe Gemeinde, was bestärkt mich nun so sehr in meinem Glauben, dass ich mit Vertretern anderer Porträtglaubensrichtungen noch nicht einmal in einen interkonfessionellen Dialog eintreten will? Mit schiefen Schultern, geneigtem Kopf und Dackelblick kommt man vielleicht leicht in den Himmel. Viel leichter ins Vorstellungsgespräch kommen Bewerber, die dem Fotografen energisch auf die Finger klopfen, wenn er sie auffordert, die üblichen Foto-Posen einzunehmen.
Ich bin zugleich so vorurteilsbeladen, dass ich jemandem, der sich beispielsweise in Russland oder in der Türkei bewirbt, immer empfehlen würde, so ernst und gewichtig in den Mond zu schauen, wie nur Stalin oder Trump:
www.slate.com/…/a_lesson_for_trump_from_stalin_lies_…
Man braucht kein Prophet zu sein, um zu erkennen: Es kommt eben immer darauf an, ob ein Arbeitgeber jemanden sucht, dem er vertrauen und mit dem er arbeiten kann oder ob man Führungschargen sucht, die Virilität und Weitblick nur markieren.
Virilität und Weitblick schließen sich übrigens gegenseitig weitgehend aus.
Mein Rat: Verwenden Sie eine geschenkte Aufnahme, die Sie als Mitarbeiter ausweist, nur dann, wenn es pressiert und Sie absolut keine Zeit für ein Bewerberporträt haben.